Offener Brief an die Bildungspolitiker:innen von Deutschland

Offener Brief an die Bildungspolitiker:innen von Deutschland

4. Februar 2022 0 Von Madita Hänsch

Ich bin Madita Heubach, 26 Jahre jung, habe einen Master in Bildungssystemdesign und engagiere mich für die Transformation unseres Bildungssystems. Ich bin auch Bürgerin von Deutschland, lebe in Oldenburg in Niedersachsen, bin Wählerin und möchte in ein paar Jahren Mutter werden.

Bereits vor 50 Jahren begann die öffentliche Debatte um die Probleme unseres Bildungssystems. Seit 50 Jahren benennen wir die Schwachstellen, formulieren Kritikpunkte und können inzwischen eine lange Liste an Problemen vorführen. In diesen 50 Jahren sind außerdem hinreichend Studien durchgeführt worden, um diese Problemlage zu untersuchen. Wir haben also nicht nur eine 50-jährige Geschichte der Kritik am Bildungssystem, sondern auch eine 50-jährige Forschung mit reichlich wissenschaftlichen Belegen, die diese Kritik untermauern. Nehmen wir zum Beispiel den chronischen Lehrermangel. Auch dieser und die Ursachen, die dazu führen, sind seit 50 Jahren bekannt. Aber das Problem wurde nicht behoben.

Doch der Schaden, der durch diese Probleme verursacht wird, geht weit über den Ausfall von Unterrichtsstunden hinaus. Wie die Zahlen der von den Krankenkassen regelmäßig durchgeführten Studien beweisen, leiden unsere Kinder tagtäglich. Sie sind depressiv, sie haben Ängste, sie haben zahlreiche körperliche Leiden. Es wäre sicherlich zu kurz gedacht, dies allein auf die Probleme im Bildungssystem zurückzuführen. Aber es wäre auch fatal, die Zusammenhänge zu unseren Kitas, Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und Universitäten zu übersehen. Doch genau das geschieht. Wir übersehen es. Wir sprechen öffentlich nicht darüber, dass unsere Kinder in den Institutionen, zu dessen Besuch der Staat sie verpflichtet, nicht sicher sind. Ihre Würde ist in diesem System nicht unantastbar.

Dabei ist die Schulpflicht bidirektional. Nicht nur das Kind ist verpflichtet, die Schule zu besuchen. Auch der Staat ist verpflichtet, ihm sein Recht auf Bildung zu gewährleisten und gleichzeitig seine Grundrechte zu wahren.

Es wäre zu einfach, die/den Politiker:in, die/den Lehrer:in, die/den Erzieher:in, die Eltern, die/den Schüler:in schuldig zu sprechen, wenn wir uns jede einzelne Akte der Opfer, die dieses System hervorbringt, anschauten. Nein. Die Zeit der Schuldsprechung, der Ursachenforschung, ist vorüber. Wir kennen die Probleme. Seit 50 Jahren.

Es ist Zeit, dass wir handeln. Es ist Zeit, dass wir Lösungen, die schon längst da sind, die von klugen Köpfen und erfahrenen Pädagog:innen erdacht, ausprobiert und evaluiert wurden, umsetzen. Es ist Zeit, dass die Politiker:innen, die nicht über einen 4-Jahres-Wahlzyklus hinausdenken können und bestenfalls oberflächliches Wissen über das wichtige Thema Bildung besitzen, zur Seite treten. Es ist Zeit, dass all die vielen tausend engagierten Lehrer:innen, Erzieher:innen, Leitungen, Schüler:innen und Eltern das Ruder in die Hand bekommen und unter der Begleitung von Expert:innen zu den führenden Gestalter:innen dieses Systems werden. Denn sie sind es, die innerhalb dieses Systems den Großteil ihres Tages verbringen. Sie sind es, die diesen Strukturen ausgesetzt werden. Sie sind es, auf die es ankommt.

Also nehmt euren Mut zusammen, Bildungspolitiker:innen von Deutschland, und tretet zur Seite. Nehmt eure Rolle als Führungskräfte ernst und bereitet den Weg, räumt die Hindernisse ab, tut alles, damit all diese wunderbaren Lösungsansätze endlich passieren können.

Ich spreche zu euch als Bildungssystemdesignerin, als ehemalige Schülerin, als ehemalige Studentin, als Bürgerin, als zukünftige Mutter. Ich fordere mein Recht und das meiner zukünftigen Kinder auf die Unantastbarkeit unserer Würde und auf das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein.

Der Wandel muss geschehen. Jetzt.