Im Sinne meiner Forschung und Arbeit als Bildungssystemdesignerin gibt es einige Bücher, die mich auf meinem Weg ständig begleiten und maßgeblich inspirieren. Diese Bücher möchte ich dir hier vorstellen.
„Mythos Bildung – Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft“ von Aladin El-Mafaalani
„Bildung ist gut, aber keine Lösung.“ (S. 267) – El-Mafaalani erläutert mit gesundem Pragmatismus was unser Bildungssystem jetzt braucht, um sich erfolgreich zu reformieren. Fundiert und einfach erklärt stellt er dar, wie das System aufgebaut ist, welche historischen Ursachen diese Strukturen haben, welche Funktionen sie ausüben und welche Konsequenzen diese Rahmenbedingungen produzieren. Im Anschluss an diese Lektüre hat jeder Laie unser deutsches Bildungssystem durchschaut.
Indem er den Fokus auf die Chancengleichheit legt, behält er dabei einen für den/die Leser:innen Orientierung gebenden roten Faden. Er wägt Bildungsvisionen und Realität gleichermaßen ab, stützt sich dabei auf Studien und gibt neben all der Kritik konkrete Vorschläge für Maßnahmen zur Verbesserung der Ausgangslage. Besonders bereichernd sind die Verknüpfungen, die er zwischen System und Gesellschaft herstellt. Und dabei räumt er ganz nebenbei mit dem Heilsversprechen auf, das der Bildung zugute geschrieben wird. Denn er stellt klar, dass das Bildungssystem nur so gut sein kann wie die Gesellschaft, in der es eingebettet ist – denn seine Aufgabe ist es, diese zu reproduzieren. Deshalb ist Bildung nicht die Lösung, oder zumindest nicht DIE Lösung.
Jede:r, der/die sich für den Wandel in der Bildung engagiert, sollte dies zu einer Pflichtlektüre werden lassen.
„Utopien für Realisten – Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das Bedingungslose Grundeinkommen“ von Rutger Bregman
„Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir unrealistisch, unvernünftig und ungehörig sein.“ (Bregman, Rutger (2021): Utopien für Realisten – Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das Bedingungslose Grundeinkommen. Hamburg bei Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag. S. 259)
Vor Kurzem ist es wieder geschehen und es passiert mir regelmäßig, dass meine Visionen vom Bildungssystem des 21. Jahrhunderts als „unrealistisch“, „unfundiert“, „nicht machbar“ oder gar „nicht notwendig“ und ähnlich kommentiert werden. Selbst (oder vor allem?) Personen vom Fach, die teils Jahrzehnte Berufserfahrung in der Bildung mitbringen, haben diese Ansichten zu meinen Vorschlägen.
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht rechtfertigen.
Ich möchte dazu einladen, dass die Zeit reif ist für eine neue Utopie. Wenn ich den Stern am Horizont nicht sehen kann, weiß ich nicht, wohin ich gehen soll.
Das Buch von Rutger Bregman hat mich zusätzlich inspiriert, aber vor allem bestätigt und liefert eine Menge wertvoller Argumente und Belege für all jene, die die Zeit reif sehen für die nächste Utopie.
„Im Grunde gut – eine neue Geschichte der Menschheit“ von Rutger Bregman
Rutger Bregman ist Historiker und arbeitet hauptberuflich als Journalist. In seinem Buch trägt er seine journalistische mit wissenschaftlicher Recherche zusammen, er vereint Erzählungen mit Belegen aus Studien. Er verknüpft unterschiedliche Perspektiven und hat keine Scheu, seine eigene These genau zu untersuchen und selbst Gegenargumente zu finden. Dadurch entwickelt er eine rundum schlüssige Theorie und räumt mit dem veralteten Menschenbild des bösen Egoisten gründlich auf.
Vor allen in solch turbulenten Zeiten, in denen wir momentan leben, ist dieses Buch ein Mutmacher. Anhand unserer Menschheitsgeschichte, gefüllt mit wahren Geschehnissen und untermauert mit wissenschaftlichen Studien gelingt es Bregman klarzustellen: Der Mensch ist ein freundliches und kooperatives Wesen, dass von dem Grundbedürfnis nach Verbundenheit erfüllt ist. Auch wenn die Medaille stets zweiseitig ist wird im Laufe der Lektüre deutlich: Mit dem aufgeräumten Bewusstsein über uns Menschen können wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen und uns dafür entscheiden, den Weg unseres guten Wesens zu folgen.
Das Buch brachte mir viele Erkenntnisse:
- Der Mensch ist im Grunde gut, freundlich, strebt nach Verbundenheit und Kooperation.
- Die Zivilisation ist Fluch und Segen zu gleich. Sie hat uns aus unserer natürlichen Umgebung gerissen und zahlreiche Probleme verursacht (Hunger, Krankheiten, Krieg) die vorher in diesem Ausmaß nicht existierten. Doch in den letzten Jahrzehnten konnten wir erfolgreich die Wende einleiten – und wenn wir diese konsequent verfolgen und weiter aktiv gestalten, blüht uns eine wunderbare Zukunft.
- Der negativity bias des Menschen, nach welchem uns eine schlechte Erfahrung stärker prägt als 100 gute Erfahrungen, gepaart mit der Nachrichten-Geilheit der Medien und angefeuert durch verfälschte Experimente von Pseudo-Wissenschaftlern hat sich ein falsches Menschenbild, dem des bösen Egoisten, geformt. Es lässt sich leicht widerlegen, wenn mensch sich die Mühe macht, genauer hinzuschauen.
- 90% der Soldaten schießen nie. Erst die Erfindung der Waffen, die aus der Ferne gesteuert und abgefeuert werden können (beginnend mit den Bomben, die aus dem Flugzeug abgeworfen werden) hat den Krieg gewalttätiger werden lassen – denn nun können wir unserem Gegenüber nicht mehr in die Augen sehen.
- Empathie ist nicht der Schlüssel zur Verbundenheit, sondern Mitgefühl. Denn Empathie lässt uns mitleiden, während Mitgefühl warme Gefühle für unser Gegenüber auslöst. Mitgefühl setzt Energien frei. Empathie ist wichtig für unsere Entwicklung, aber Mitgefühl ist unsere eigentliche Stärke, die uns als Spezies erfolgreich macht.
- Gute Taten dürfen sich gut anfühlen, sie sollen sich gut anfühlen. Deshalb sind wir keine Egoisten. Was wäre das für eine Welt, wenn gute Taten sich nicht gut sondern schlecht anfühlten?
„Die Vernachlässigten – Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen“ von Dario Schramm
Dario Schramm hat 2021 sein Abitur abgelegt. Er war außerdem Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Und er hatte keinen Spaß während seiner gesamten Schulzeit, das stellt er schonungslos klar.
In seinem Buch rechnet Dario mit dem Schulsystem ab. Dabei betreibt er kein „Lehrerbashing“, sondern erkennt klar, wo die systemischen Ursachen für die Probleme und Konflikte liegen. Er spricht über die maroden Schulgebäude, die mangelnde Ausstattung und finanzielle Grundversorgung, die Chancenungleichheit, den Fachkräftemangel, die unnötigen Hürden für engagierte Nachwuchskräfte, die bürokratischen Unsinnigkeiten, die nicht funktionierende Digitalisierung, die unzureichende Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte sowie den Reformbedarf in der Lehrerausbildung, die unzureichende Inklusion, Noten und vielen weiteren Details. Stets stellt er die richtigen Zusammenhänge her und stets liefert er zu jedem Problem auch eine Idee für einen Lösungsvorschlag.
Es ist unabdingbar, dass den Lernenden in unserem Bildungssystem mehr Stimmkraft verliehen wird. Umso dankbarer bin ich für Darios Vorstoß, sich Gehör zu verschaffen und sich für seine Generation einzusetzen.
Jede:r, der sich mit dem Bildungssystem beschäftigt, sollte dieses Buch gelesen haben.
„How People Learn – Designing education and training that works to improve performance“ von Nick Shackleton-Jones
Der Mensch lernt nur das, was ihn emotional berührt, also, was ihn wahrlich interessiert. Folgt man dieser Erkenntnis, ergibt sich für Lehrende, dass sie nicht vorgeben können, was gelernt werden soll. Denn selbst, wenn sie darauf beharren, wird der Mensch es nach kurzer Zeit wieder vergessen. Denn das Gehirn war von vorhinein nicht darauf eingestellt, dieses Wissen zu speichern. Es war also für alle Beteiligten pure Zeitverschwendung. Stattdessen stellt Nick Shackleton-Jones klar: Entweder ich stelle dem Lernenden Ressourcen zur Verfügung, die ihm helfen, seine Lernziele zu erreichen (also seinen Interessen und Bedürfnissen folgen) oder ich sorge dafür, dass es den Lernenden interessiert. Und dafür gibt es nur wenige wirksame Methoden – kaum eine davon wird im Bildungsalltag, vor allem in der Erwachsenenbildung, regelmäßig eingesetzt. Zum Beispiel Geschichten erzählen, Herausforderungen darbieten oder Experiences kreieren.
Wer dieses Buch liest, ist im Handumdrehen bereit, seine bisherigen Lehrstrategien vollkommen über den Haufen zu werfen und völlig neu zu beginnen. Denn Shackleton-Jones schafft es, den notwendigen pädagogischen Haltungswandel klar und unvoreingenommen darzulegen, anhand realer Beispiele aus seinem eigenen Leben. Denn auch er war einst anderer Meinung – und wurde eines besseren belehrt. Umso leichter fällt es ihm in seinem Buch, Methoden zu empfehlen, Konzepte zu erläutern und klare Handlumgsempfehlungen für Lehrende mit jeglichen Bildungszielen zur Verfügung zu stellen.
Ich bin davon überzeugt, dass sowohl Erzieher*innen, als auch Lehrer*innen und Erwachsenenbildner*innen, ja sogar der Lernende selbst, dank diesem Buch maßgebliche Erkenntnisse gewinnen, um Lernräume zukünftig bedürfnisgerecht gestalten zu können. Mir selbst hat es viele Erleuchtungen beschert.
„New Work braucht New Learning – Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten“ von Jan Foelsing und Anja Schmitz
Dieses gründlich recherchierte Fachbuch verbindet Spiral Dynamics mit den vier Quadranten von Ken Wilber, den neuesten Erkenntnissen zu Lehr- und Lernforschung und nutzt all dies für die Ausarbeitung eines ausgereiften Blended und E-Learning Konzepts. Und um all dies abzurunden gehört diesem Buch eine umfassende Webseite mit vertiefenden Einblicken in die Materie an. Nicht zuletzt begeistert mich die Integrale Landkarte, entwickelt vom IMU, welche hier näher erläutert wird. Und schließlich ist dieses Buch, obwohl es sich zunächst mit der Erwachsenenbildung (genauer Personalentwicklung in Organisationen) auseinandersetzt, auch wunderbar übertragbar auf die Schulbildung. Dank dieser Lektüre erhält die/der Lernraumdesigner*in ein grundlegendes Verständnis dafür, welche Rahmenbedingungen es braucht, um eine lernende Organisation zu entwickeln. An dieser Stelle lediglich noch ein Zitat:
„Um von New Learning im engeren Sinne sprechen zu können, muss sich Lernen an den oben aufgeführten zentralen Prinzipien des New Work Konzepts orientieren und die Selbst- und Potenzialentfaltung des Individuums in den Fokus rücken, damit die Weiterentwicklung der Individuen einen Beitrag zur Entwicklung der Gesamtorganisation leisten kann (Schmitz und Foelsing 2019). New Learning bezeichnet Lernen, das vom Lernenden als sinnhaft erlebt wird und die Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglicht. Der Lernprozess ist dabei geprägt durch Selbstbestimmung, Autonomie und dem Streben nach Wirksamkeit. Die Lernenden erleben ein hohes Maß an Selbstverantwortung und die Zugehörigkeit zur (Lern-)gemeinschaft (Schmitz und Graf 2020).“ – Seite 4.
„Ganzheitlich handeln – Eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität“ von Ken Wilber
„Integral – dieses Wort bedeutet integrieren, zusammenführen, vereinigen, vernetzen, umfangen. Dabei geht es nicht um Uniformität und nicht um ein Ausbügeln all der wunderbaren Unterschiede, Farben und Zickzacklinien der regenbogenfarbenen Menschheit. Es geht vielmehr um eine Einheit in der Vielfalt, in der man Gemeinsamkeiten zusammen mit unseren wundervollen Unterschieden genießen kann. Und das bezieht sich nicht bloß auf die Menschheit, sondern auf den gesamten KOSMOS. Es geht darum, eine umfassendere Sicht, eine Theorie von Allem, zu finden, die der Kunst, Moral, Wissenschaft und Religion den ihnen jeweils zustehenden Raum läßt und nicht bloß versucht, alles auf ein jeweiliges Lieblingsstück aus der kosmischen Torte zu reduzieren.
Und wenn es uns gelingt, eine wahrhaft holistische oder integrale Sichtweise der Wirklichkeit zu entwickeln, dann werden wir auch einen neuen Typus kritischer Theorie entwickeln – das heißt eine Theorie, die dem gegenwärtigen Stand der Dinge im Licht eines umfassenderen und erstrebenswerteren Zustandes des Individuums wie der Gesamtkultur kritisch gegenübersteht. Das integrale Paradigma wird notwendigerweise alle Ansätze kritisch betrachten, die im Vergleich dazu partiell, eng, seicht, weniger umfangend, weniger integrativ sind.“
Seite 14
„Reinventing Organizations – Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“ von Frederic Laloux
In unserer zunehmend komplexer werdenden Welt stößt das hierarchsiche Organisationsmodell allmählich an seine Grenzen. Es ist unflexibel und stellt Machtverhältnisse in den Vordergrund. Dabei verlangt die VUCA-Welt Dynamik und Kreativität. Doch welche Strukturen braucht es, damit die benötigten Kompetenzen Raum zur Entfaltung bekommen?
Laloux stellt in seinem Leitfaden auf sehr übersichtliche und leicht verständliche Weise das Organisationsmodell des 21. Jahrhunderts dar: Die lebendige bzw. evolutionäre Organisation. Diese orientiert sich an der Dynamik von Ökosystemen. Kompetenzorientierte Führung, Interne wertschätzende Kommunikationsstrategien und Konfliktlösungsmethoden stehen hier im Mittelpunkt. Der Mensch bringt sich ganzheitlich in sein Arbeitsumfeld ein und ist nicht länger gezwungen, Rollen einzunehmen und damit Teile seines Selbst zu verdrängen.
In diesem Buch werden verschiedene Unternehmen als Beispiele angeführt, um unterschiedliche Wege aufzuzeigen, wie eine solche lebendige Organisation strukturiert sein kann.
Ergänzend zu dieser Lektüre empfiehlt sich außerdem: „New Work needs Inner Work“ von Joana Breidenbach und Bettina Rollow.
„Spiraldynamics – Leadership, Werte und Wandel“ von Don Edward Beck und Christopher C. Cowan
Wie hat sich die Menschheit von der Existenzebene des Jäger und Sammlers zum global vernetzten Wesen entwickelt? Wie sind wir von der Anbetung zur Visionierung gekommen? Welche Mindsets/mentalen Modelle/kulturellen Systeme haben sich im Laufe unserer Evolution entwickelt? Wie wirken sie noch heute?
Diesen Fragen widmen sich die Autoren dieses Buchs. Sie haben die Forschung von Clare W. Graves weiterentwickelt und das Modell der Spirale als Abbildung unserer kulturellen Evolution als Menschheit erstellt. Darüber hinaus bietet dieses Buch eine Anleitung, zum Spiralexperten oder Spiralberater zu werden, um in der Lage zu sein, die nötigen Entwicklungsschritten von einer Ebene der Spirale zur nächsten zu steuern.
Denn um den gegenwärtigen Problemen der Menschheit und des Planeten begegnen zu können, ist es unerlässlich, sich zu den Ebenen der zweiten Ordnung weiterzuentwickeln. Nur das hier verortete Denken ist dazu in der Lage, die gesuchten Lösungen sichtbar zu machen.
„Essentials der Theorie U – Grundprinzipien und Anwendungen“ von Otto C. Scharmer
Otto Scharmer arbeitet seit über zwanzig Jahren am MIT. Dort hat er das Presencing-Institute gegründet. Gemeinsam mit anderen Visionär*innen, wie zum Beispiel Peter Senge, entwickelte er die „Theorie U“ als Framework und Methodologie, für nachhaltige Transformationsprozesse in Organisationen, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.
Dabei geht er von dem Ansatz aus, nicht aus der Vergangenheit zu lernen, sondern von der Zukunft, während sie sichtbar wird. Drei innere Instrumente stehen dem Menschen dabei zur Verfügung: Open Mind, Open Heart und Open Will. Um den nächsten Gipfel der Entwicklung besteigen zu können, muss der Mensch zunächst einen Abgrund überwinden. Deshalb die Form des „U“. Er durchläuft mehrere Stationen der Selbstreflexion, ehe er die neue innere Einstellung erlangen kann, die notwendig ist, um nachhaltige Transformationsprozesse steuern zu können.
Denn, so die grundlegende Annahme, Führungspersönlichkeiten müssen zunächst sich selbst transformieren, ehe sie Teams, Organisationen oder gar ganze Systeme bei der Transformation beraten können. Wobei sich die Führungsperson selbst in das System involvieren muss und nicht von außerhalb agieren kann.
Die Theorie U zu lesen ist eine einzige Erkenntnisreise. Seite um Seite werden einem die Augen geöffnet und das Herz füllt sich mit neuer Energie und Zuversicht, um den Wandel in Angriff zu nehmen.
Mit dem Buch einher geht die Einladung zur Aktivität über presencing.org und das „u.lab“. Hier gibt es kostenlosen Zugang zu Materialien und weiterführenden Informationen. Außerdem einen MOOC (kostenloser Online-Kurs des MIT), um die Theorie U ausführlich zu verinnerlichen. Letztendlich findet sich hier auch ein großes Netzwerk an Visionär*innen, dem jede*r beitreten kann.
„Die Kindheit ist unantastbar – Warum Eltern ihr Recht auf Erziehung zurückfordern müssen“ von Herbert Renz-Polster
Der Autor ist Kinderarzt. Seit über 20 Jahren geht er der Frage nach, warum sich Kinder so entwickeln, wie sie sich entwickeln.

In diesem Buch beschäftigt er sich mit den Einflüssen und Wirkungen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf die Erziehung und Bildung unserer Kinder. Welche Lobby wirkt sich wie auf Kitas, Schulen und Universitäten aus? Welche Ziele verfolgen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft? Wie begründen sie ihre Maßnahmen? Worauf fußt eigentlich unsere Erziehung?
Und: Wie hat sich das Bild in Erziehung und Bildung in den letzten Jahren gewandelt und warum? Wohin steuern wir jetzt?
Letztendlich plädiert der Autor und Kinderarzt dafür, den Eltern wieder mehr Autonomie und Verantwortung für ihre eigenen Kinder zuzugestehen.
„Die Würde des Kindes ist antastbar – Plädoyer für eine Kindheit ohne Beschämung“ von Gabriele Pohl
Die Autorin, Gabriele Pohl, ist Familien- und Paartherapeutin. Sie schöpft ihre Kenntnisse aus jahrzehntelanger Erfahrung und wissenschaftlichen Studien. Bereits mehrere Bücher hat sie veröffentlicht, um für einen Wandel in der Erziehung des 21. Jahrhunderts zu plädieren. Im Kern geht es ihr vor allem um eines: Liebe und Respekt.

Belohnung, Bestrafung und Bewertung im Allgemeinen verletzen die Menschenwürde. Es sind seelische Verletzungen, die durch Bloßstellung, Demütigung und Beschämung versursacht werden. Erwachsene nutzen (teils bewusst, teils aus Mangel an besserem Wissen) ihre Vormachtstellung gegenüber Kindern aus. Sie nehmen ihnen den eigentlich notwendigen Raum zur Entfaltung ihrer individuellen Persönlichkeiten. Stattdessen neigen sie dazu, die Fehler, die mit ihnen selbst in ihrer Kindheit gemacht wurden, unbewusst auf ihre eigenen Kinder bzw. Schützlinge zu übertragen und zu „reinszenieren“. Dabei geht es nicht mehr um physische Gewalt, sondern um seelische Gewalt.
Gabriele Pohl öffnet in ihrem Plädoyer die Augen ihrer Leser*innen. Vieles Unbewusste, wird einem bewusst gemacht. Grenzen setzen kann man auch anders – und dabei sogar die nötigen Räume zur Entfaltung öffnen, sodass ein Mensch heranwächst, der sich seiner*ihrer eigenen Würde bewusst ist.
„Die kompetente Familie – Neue Wege in der Erziehung“ von Jesper Juul
„Die Kunst, auch in schwierigen Situationen gute Entscheidungen zu treffen: Der bekannte Familientherapeut Jesper Juul bietet Orientierung und konkrete Hilfestellung – eine solide Basis für alle, die ihre eigene Rolle als Eltern und Partner finden wollen.“ – so heißt es im Klappentext dieses Buchs.

Tatsächlich spiegelt er es sehr gut wieder: eine solide Basis. Bevor Jesper Juul beschreibt, wie sich eine glückliche Familie anfühlt, geht er auf die Partnerschaft der Eltern ein. Denn diese bildet den ersten Grundstein der Familie. Alles hängt davon ab, wie die Eltern miteinander untereinander umgehen. Wie verhalten sie sich zueinander? Wie drücken sie ihre Gefühle aus? Wie gehen sie mit Konflikten um? Sie sind das Vorbild für das Verhalten der Kinder. Von den Eltern lernen die Kinder, was es bedeutet, Familie zu sein.
Jesper Juul belehrt nicht. Er zeichnet kein Bild einer perfekten Familie. Er beschreibt genau das, was wir alle in unserem tiefsten Herzen schon wissen, was ein glückliches Familienleben ausmacht – worauf es wirklich ankommt: Gleichwürdigkeit.
„Würde – Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft“ von Gerald Hüther

In seinem Buch „Würde“ beschäftigt sich Gerald Hüther mit der Frage, was ein Leben in Würde ausmacht. Dazu setzt er sich zunächst mit dem Begriff der Würde in seinen kulturellen und historischen Kontexten auseinander. Er stellt die These auf, dass ein Mensch, der im Bewusstsein seiner Würde lebt, nicht würdelos handeln kann und in seiner Würde unantastbar ist.
In meiner Masterarbeit („Von der Gesellschaft des Habens zur Gesellschaft des Seins“) habe ich diese These erweitert: Die Würde eines Menschen ist dann unantastbar, wenn er ausschließlich von Menschen umgeben ist, die sich ihrer Würde bewusst sind.
„Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ von Erich Fromm

Erich Fromm ist leider für die jüngeren Generationen (wie meiner) in Deutschland ein unbekannter Philosoph, da er keinen Raum in den Lehrplänen der Schulen mehr einnimmt. Umso dankbarer war ich, in meinem Masterstudium auf ihn zu treffen. Sein Buch „Haben oder Sein“ inspirierte mich sehr. Ich erfuhr die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Leistungsprinzipien und Identitäten. Trotz der düsteren Aussichten, die Fromm der Leistungsgesellschaft ausstellt, schafft er es mit seiner Darstellung des Lebens im Sein Hoffnung zu streuen.
In meiner Masterarbeit verknüpfte ich die Theorie von Hüthers Würdebegriff und Fromms Seins-Mensch zu der Erkenntnis, dass ein Leben im Sein die Voraussetzung für ein Leben in Würde ist.
„Emotionale Intelligenz“ von Daniel Goleman

In seinem Buch „Emotionale Intelligenz“ formuliert Daniel Goleman die Theorie hinter diesem Begriff. Mithilfe der Neurowissenschaft stellt er die Zusammenhänge zwischen rationalen Entscheidungsprozessen und Emotionen her. Je ausgeprägter die emotionale Intelligenz, desto erfolgreicher gestalten sich Lernprozesse. Meiner Meinung nach sollte in Bildungshäusern die Förderung emotionaler Intelligenz einen größeren Fokus erfahren, als sie aktuell erfährt. Nicht zuletzt strebe ich eine Ausgeglichenheit von emotionaler Intelligenz (EQ) und rationaler Intelligenz (IQ) an. Denn beide sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig.
Gerade in Zeiten der künstlichen Intelligenzen ist es die emotionale Intelligenz, nachweislich ein entscheidender evolutionärer Vorteil, der uns besonders ausmacht.
„Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der lernenden Organisation“ von Peter M. Senge
Wie schafft man Raum zur freien Entfaltung innerhalb der Strukturen einer Organisation, die auf bestimmte systemische Regeln angewiesen ist? Wie kann man gleichzeitig Stabilität und Flexibilität garantieren?

Mit seinem Modell der fünften Disziplin bietet Senge fünf Strategien, die, wenn man sie alle gleichsam beherrscht, eine lernende Organisation ermöglichen. Personal Mastery, mentale Modelle, Teamlernen, gemeinsame Vision und Systemdenken heißen diese Strategien. Am Ende steht eine lernende Organisation.
Kommt dieses Modell in einem System (einer Organisation) zur Anwendung, also wird es fest in den Strukturen implementiert, dann entstehen die nötigen Räume zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Senges fünfte Disziplin kann auch mit anderen Modellen kombiniert werden, wie z.B. mit Frederic Vesters Regeln der Biokybernetik (siehe unten).
„Die Kunst vernetzt zu denken“ von Frederic Vester
Systemisches/ Vernetztes Denken ist dem Menschen angeboren. Unser Gehirn möchte nicht linear denken. Unsere Neuronen sind auf komplexe Weise miteinander verknüpft. Diese Verknüpfungen verlaufen nicht in geraden Linien. Und das ist gut so. Denn das ermöglicht uns Kreativität und Innovationskraft. Wir sehen Zusammenhänge. Wir erkennen Muster.

Dieses uns angeborene vernetzte Denken spiegelt die Komplexität unseres Universums wieder. Linearität ist hier schlichtweg nicht anwendbar. Diesen Umstand erläutert Vester in seinem Buch sehr anschaulich. Er leitet aus der Komplexität des Ökosystems die Grundregeln der Biokybernetik ab.
Wendet man diese Regeln auf ein System an, erhält man garantiert Stabilität durch Flexibilität. Dazu gehört der Mut, die eigenen Denkstrukturen zu verändern. Schließlich wurden wir entgegen unserer Natur zur Linearität erzogen. Doch am Ende stehen unverhoffte Erkenntnisse.
„Jedes Kind ist hoch begabt“ von Gerald Hüther und Uli Hauser
Mit dieser These habe Hüther und Hauser bereits viel Kritik geerntet. Auch ich habe diesen Gegenwind gespürt, als ich mutig seine These im Social Media zitierte. Der Vorwurf: Hochbegabung ist und bleibt wenigen Menschen vorbehalten und wenn man das in Frage stellt, raubt man diesen Menschen die Unterstützung, die sie benötigen.

Ich stimme darin überein, dass Hochbegabung aktuell tatsächlich wenigen Menschen vorbehalten bleibt. Das ist aber kein Ergebnis natürlicher Selektion oder eines genetischen Würfelspiels. Es ist die Konsequenz einer Gesellschaft, in der rigoros selektiert und ausgegrenzt wird, aufgrund festgelegter Maßstäbe, die eine Hochbegabung definieren. Dass diese Maßstäbe selbst von Menschen geschaffene Konstrukte sind, wird dabei gerne übersehen.
Hüther und Hauser erklären anhand neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, dass jeder Mensch das Potenzial besitzt, eine Hochbegabung zu entwickeln. Dabei stellen sie klar, dass sich Hochbegabungen auf sehr vielfältige Weise ausdrücken können. Doch in unserer Gesellschaft wird lediglich ein sehr enges Fenster in den Blick genommen. Außerdem können die meisten Menschen deshalb keine Hochbegabung entwickeln, weil sie das Pech haben unter ungünstigen Umständen aufzuwachsen und keine Räume haben, ihre Potenziale zu entfalten.
Meiner Meinung nach bestärken Hüther und Hauser das Prinzip von wahrer Chancengleichheit. Das Buch ist ein richtiger Augenöffner.
„Kinder sind anders“ von Maria Montessori

Das Programm dieses Buchs steckt bereits im Titel. Montessori steht für ihre Pädagogik gleichsam in Lob und Kritik. Die von ihr verlangte Freiheit wird von vielen gefürchtet. Diese Furcht und Kritik begründet sich meiner Meinung nach auf mangelndem Verständnis und Kenntnis ihrer Thesen. Keineswegs spricht Montessori, wie von vielen behauptet, von zügelloser Freiheit des Kindes. Vielmehr geht es in ihrer Pädagogik um Räume zur Selbstwirksamkeit.
Sie stellt klar, Kinder sind anders als Erwachsene. Sie haben andere Bedürfnisse. Und die Erwachsenen haben die Verantwortung, auf diese Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, anstatt die Kinder dahin zu erziehen, sich den Bedürfnissen der Erwachsenen anzupassen. Es geht ihr um einen Umgang auf Augenhöhe, um ein gleichberechtigtes Lernen voneinander. Das Kind ist anders. Und es ist ein Quell voller Potenziale und Möglichkeiten, die es zu erkennen und zu fördern gilt.
„Freiheit und Grenzen – Liebe und Respekt“ von Rebeca Wild
Wie schaffe ich es, die Balance zwischen Freiheit und Grenzen zu halten? Wie kann ich meinem Kind sowohl Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen, als auch die Bedingtheit des Lebens lehren?

Auf diese schwierigen Fragen bietet Wild anhand anschaulicher Beispiele die nötigen Antworten. Grenzen sind Teil des Lebens. Das Leben ist begrenzt. Dies zu akzeptieren ist der erste Schritt. Dass Kinder unsere Hilfe brauchen, diese Grenzen zu erkennen, ist der zweite Schritt. Grenzen nicht mit Strafen und Lob zu begleiten, ist der dritte Schritt. Liebe und Respekt sind dafür die Voraussetzungen. Wild und Montessori bieten dabei viele Anknüpfungspunkte.
Für mich erschien Wilds Buch wie eine praktische Anleitung zu Montessoris Philosophie.